Digitale Evangelisten, Apokalyptiker, Diskurssucher, -verweigerer und Münchhausens Trilemma

Der Beitrag zur GMW 2016 Tagung, hier mit den Abbildungen und Literaturangaben, die in der Kurzversion des Sammelbandes keinen Platz gefunden haben.

Zusammenfassung

Die Diskussionen rund um das Digitale in der Bildung sind in ihrer Vielfalt kaum mehr nachzuvollziehen. Es wird zunehmend schwerer, im Feld für den Diskurs Relevantes ausfindig zu machen. Das liegt auch daran, dass tatsächlich viele Beteiligte wenig Interesse daran haben, ihre Positionen dem wissenschaftlichen Diskurs auszusetzen.

1    Einleitung

Die Lüge der digitalen Bildung (Lembke & Leipner, 2015), die digitale Demenz (Spitzer, 2014) aber auch die digitale Bildungsrevolution (Dräger & Müller-Eiselt, 2015) sind der Grund für viele, sich mit digitalen Medien in der Bildung zu beschäftigen und Gegenpositionen zu formulieren. In sozialen Netzwerken wie auch in den Printmedien werden unzählige – mehr oder weniger – gehaltvolle Texte zum Einsatz digitaler Medien in der Bildung veröffentlicht.

2    Der Versuch einer Rasterung

Hans Magnus Enzensberger hat in seinem Beitrag Das digitale Evangelium zwischen digitalen Evangelisten und digitalen Apokalyptikern unterschieden (Enzensberger, 2000). Verwendet man dieses Gegensatzpaar, so sind die Evangelisten jene, die sich für die Digitalisierung der Bildung ohne Wenn und Aber aussprechen. Die Apokalyptiker wären dann jene, welche Medien – insbesondere digitale – am liebsten zur Gänze von Kindern und Jugendlichen fernhalten wollen. Werden diese beiden Extreme als Endpunkte einer Skala von -10 bis +10 herangezogen, so ergibt sich das folgende Bild:

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Abb. 1: Achse digitale Apokalyptiker und Evangelisten

 

Neben diesem Aspekt ist aber noch ein zweiter wesentlicher Faktor zu berücksichtigen: den der Diskursfähigkeit. Nimmt man das Prinzip der kritischen Prüfung (Albert, 2010) als Grundlage wissenschaftlicher Arbeit, so sollte man den eigenen Thesen immer nur vorläufige Gültigkeit zugestehen und dem Diskurs (der kritischen Prüfung) aussetzen um so Münchhausens Trilemma zu entkommen (Albert, 2010, S. 13). Tatsächlich stoßen manche intensiv die Diskussion zu ihren Thesen an (positive Achse der zweiten Dimension), andere lassen den Diskurs geschehen, ohne sich selbst zu beteiligen oder daraus Schlussfolgerungen zu ziehen (0). Und einige Meinungsmacher verweigern sich nicht nur dem Diskurs, sondern verunmöglichen diesen durch Argumente ad hominem, Totschlagargumente, etc. (negative Achse). Wenig überraschend sind das vor allem jene im Feld, die Extrempositionen vertreten. Folglich die zweite Dimension: Diskursbereitschaft.

 

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Abb. 2: Achse digitale Apokalyptiker und Evangelisten sowie Diskursbereitschaft

Eine dritte Dimension wäre durch die Endpunkte adaptives Lernen und pervasives Lernen gegeben (Lindner, 2015). Diese beiden Positionen sind aber kein klares Gegensatzpaar. Naheliegend wäre das Gegensatzpaar Didaktisierung und Entdidaktisierung, denkbar aber auch Theoretiker und Praktiker.

These für das Knowledge Café: Extrempositionen auf der ersten Achse werden vor allem dann eingenommen, wenn dadurch ein ökonomischer Vorteil entsteht, oder auch aus egozentrischen Motiven, daher ist die Diskursbereitschaft auch nicht sehr hoch.

Standpunkte verändern sich im Laufe der Zeit, Bewegungen in allen drei Dimensionen und in allen Kombinationen sind denkbar. Zuordnungen in diesem System betreffen die durch die Person vertretene Position und nicht die Person selbst.

Was bewirken Lembkes, Spitzers und Drägers Veröffentlichungen, sind sie Opium für das Volk? Folgt den digital-skeptischen wie digital-euphorischen Diskussionen tatsächlich eine Veränderung im Bildungsalltag? Gibt es einen nennenswerten Impact? Und inwiefern ist Groupthink in diesem Zusammenhang ein Hemmschuh in der Entwicklung (Lück, 2013, S. 114; Brandhofer, 2015)?

Ich habe den Versuch unternommen, die ersten beiden Skalen mit sechs Fragen zu operationalisieren. Diese Fragen habe ich Studierenden einer Pädagogischen Hochschule, Lehrenden einer PH, IT Verantwortliche und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der EDU|days online zur Beantwortung vorgelegt. Für Gruppe 1 ergeben sich die Mittelwerte von 4,2/-2,4 (s=2,28/5,97; n=37), Gruppe 2 4,5/-3,4 (s=2,68/6,50; n=36), Gruppe 3 6,8/-4,8 (s=2,68/6,63; n=30) und Gruppe 4 6,3/-5,3 (s=2,85/5,42; n=63).

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Abb. 3: Vier Gruppen: Studierende, PH Lehrende, IT Betreuer/innen, EDU|days Teilnehmer/innen

 

3    Zusammenfassung und Ausblick

Veröffentlichte Beiträge sollten nicht ausschließlich der untaugliche Versuch sein, aus persönlichen Erlebnissen allgemeingültige Theorien abzuleiten ohne seine eigene Meinung auch zur Disposition zu stellen. Auch sollte nicht der ökonomische Vorteil sondern wissenschaftsethische Prinzipien das Leitsystem des Handelns sein. Die Debatte muss für einen nennenswerten wissenschaftlichen Fortschritt tatsächlich und mehrheitlich dem Prinzip der kritischen Prüfung folgen.

Mit diesem Beitrag soll die Notwendigkeit der Beachtung des Prinzips der kritischen Prüfung in Zusammenhang mit digitalen Medien in der Bildung betont werden. Halten wir uns den Horizont offen, fördern wir die kritische Prüfung unserer Theorien und durchbrechen wir das Ingroupverhalten!

Literatur

Albert, H. (2010). Traktat über kritische Vernunft (UTB) (Nachdr. d. 5., verb. und erw. Aufl.). Tübingen: Mohr Siebeck.

Brandhofer, G. (2015, Juni 30). Digitale Dogmen und digitale Bildung an den Hochschulen. FNMA Magazin, 02/2015, 15–16.

Dräger, J. & Müller-Eiselt, R. (2015). Die digitale Bildungsrevolution: Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können. DVA.

Enzensberger, H.M. (2000, Januar 10). Das digitale Evangelium. Der Spiegel, 2. Zugriff am 10.2.2016. Verfügbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15376078.html

Lembke, G. & Leipner, I. (2015). Die Lüge der digitalen Bildung: Warum unsere Kinder das Lernen verlernen. Redline Verlag.

Lindner, M. (2015). Pervasives Lernen. :microinformation. Zugriff am 29.2.2016. Verfügbar unter: https://microinformation.wordpress.com/2015/05/28/pervasives-lernen/

Lück, H. (2013). Psychologie sozialer Prozesse: Eine Einführung in das Selbststudium der Sozialpsychologie. Springer-Verlag.

Spitzer, M. (2014). Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Droemer TB.

 

 



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